ARIANE MÜLLER / VERENA KATHREIN

Then I would like to make a happy end for once

06. Juli – 09. September 2018

Eröffnung: Do 05. Juli 2018, 19 Uhr
Opening: Thurs July 05 2018, 7 pm

Pressetext   Press release

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Then I would like to make a happy end for once ist eine Ausstellung für den Kunstverein Nürnberg, die auf einem Dialog zwischen der Fotografin Verena Kathrein und der Künstlerin und Autorin Ariane Müller basiert, der vor zwei Jahren in Rom begann. Die Ausstellung ist zum einen eine Auseinandersetzung mit dem Medium der Fotografie, ihrer Präsenz und ihrer Entscheidung für den Moment, und es ist ein Ineinanderfalten von zwei Feldern, dem der Komödie und dem des Feminismus. Es sind auch zwei Personen oder Figuren, die sich in dieser Recherche begegnen: Die italienische Feministin Carla Lonzi, die in den 70er Jahren gemeinsam mit der Künstlerin Carla Accardi die Rivolta Femminile gründete und die Figur des Pulcinella, der in der Commedia dell'arte für die Stadt Neapel steht und dem Giorgio Agamben 2015 ein Buch gewidmet hat. Die gemeinsame Lektüre und die Übersetzung von Lonzis Diario di una femminista und Agambens Pulcinella ovvero divertimento per li regazzi, die beide bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden, stand am Ausgangspunkt einer Recherche mit dem Ziel, Bilder zu finden, für etwas, das entweder zu traurig ist, als dass man es sagen kann, oder aber zu komisch, als dass man es aussprechen kann. Am Rand der Sprache findet sich denn auch das Weinen oder Lachen, in das sich die Sprache in der Unmöglichkeit, etwas zu sagen, auflöst und damit jene Gefühle, die das unfreiwillige Gefangensein beschreiben, in einem Drama der gesellschaftlichen Positionierung des Anderen aufgrund von zugeschriebenen, unentrinnbaren Unterschieden.

Auch die Figur des Pulcinella wird nicht dadurch definiert, dass er durch eine Handlung zur Person des Dramas wird, sondern einfach nur dadurch, dass er da ist. Er selbst, dessen Geschlecht und dessen Zugehörigkeit zu den Menschen nicht ganz klar sind – Pulcinella wird aus einem Ei geboren und spricht wie Donald Duck, der von ihm abstammt, mit einer tierartigen Stimme – versucht in jedem Drama nur einen Ausweg zu finden und sich, am besten seitlich, aus der Handlung zu entfernen. Sein eigentliches Ziel ist es, zu überleben und er verweigert jegliche Komplexität, denn alles ist für ihn ein einfaches Bild. Das Wichtigste ist, etwas zu essen zu bekommen.

In Carla Lonzis Diario di una femminista wird eine ganz ähnliche Suche nach einem Ausgang beschrieben. Zusammengefasst im Begriff des Separatismo beschlossen die italienischen Feministinnen Mitte der 70er Jahre das Feld, welches auch immer es wäre, die Kunst, die Politik, die Psychoanalyse, zu verlassen und an einer Auseinandersetzung, in der sie sich immer nur verteidigen mussten, auf Gebieten, in denen Frauen über Jahrhunderte ausgeschlossen wurden, nicht mehr teilzunehmen. Agamben beschreibt den Moment in der Komödie, an der alle Protagonisten die Szene verlassen haben, entlang der Parabasis der griechischen Komödie. Die Parabasis ist jener Teil, in der sich in Abwesenheit der handelnden Figuren der Chor die Maske abnimmt und sich direkt an das Publikum wendet. Es ist derselbe Moment, in dem später Pulcinella seine Witze über das Geschehen reißen wird.

In Then I would like to make a happy end for once sind nun die Fotografien das Geschehen, das sich im Außen für die Fotografin während der Auseinandersetzung mit diesen Gedanken darstellte, während die anderen Arbeiten im Innenraum und ohne zeitlichen Bezug entstanden sind. Alle Medien können nun je nachdem Handlungen oder aber störendes Element sein, das die Handlung nicht weiterträgt, sondern lediglich seine ihm und dem Medium eigenen Witze reißt. Darin steht die malerische Form des Kubismus für eine Auseinandersetzung, die gegen die Perspektive der Renaissancemalerei als eine eigene Perspektive in einer Art Geheimsprache zwischen zwei Personen entstanden ist und die als Form paradigmatisch, zum Beispiel in Donald-Duck-Heften, bis heute für die Unverständlichkeit der Avantgarde eingesetzt wird. Dieser neuen Perspektive zugrunde liegt der Wunsch, die Möglichkeit, sich im Raum zu bewegen, zu zeigen und alles, Tisch, Gitarre, Flasche zu einem präsenten Körper (und zumeist einen weiblichen) zu machen und ihm Dreidimensionalität und Präsenz zu verleihen. Historisch entstand der Kubismus aus einer Auseinandersetzung mit der Zweidimensionalität der Fotografie und der Mehrdimensionalität von Charlie-Chaplin-Filmen. Er erinnert heute an die Unterkomplexität des "Dritten Tischs" des spekulativen Realismus, der an sich eine Art Pulcinella der Philosophie darstellt – bloß raus hier!

In Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten schreibt Freud, es sei, um einen Dritten in das Entstehen eines Witzes einzubinden, notwendig, dass bei diesem keinerlei widrige oder feindliche Tendenzen bestehen. Deshalb ist die Ausstellung auch der Versuch, alle Bilder wie in einer Welt unter Wasser zu präsentieren, eine Welt, wie der französische Philosoph Gilles Deleuze schreibt, in der alles ineinander gefaltet ist. Die Fische sind so ins Meer gefaltet, wie das Meer in die Fische.

Weitere Veranstaltungen

Mi 11.07.2018, 18 Uhr
Ausstellungsführung

Mi 18.07.2018, 19 Uhr
Künstlerinnengespräch mit Ariane Müller

So 29.07.2018, 15 Uhr
Ausstellungsführung


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Then I would like to make a happy end for once is an exhibition for the Kunstverein Nürnberg, based on a dialogue that began two years ago in Rome between photographer Verena Kathrein and artist and author Ariane Müller. The exhibition is partly an exploration of the medium of photography—its presence and its decision for the moment—and it is partly an interweaving of two fields, namely comedy and feminism. The research touches on two people or figures: Italian feminist Carla Lonzi, who founded the Rivolta Femminilewith artist Carla Accardi in the seventies as well as the figure of the Pulcinella, who represents the city of Naples in the Commedia dellarte and was the subject of a 2015 book by Giorgio Agamben. The joint reading and translation of Lonzi’s Diario di una femminista and Agamben’s Pulcinella ovvero divertimento per li regazzineither of which had yet been translated into the German—served as the starting point of research that had the goal of finding images of something that is either too sad to be said aloud or too funny to be pronounced. Weeping and laughter populate the margins of language, where it dissolves into the impossibility of saying something and therefore describes a feeling of involuntary imprisonment in a drama of social positions of the other based on attributed, inescapable differences.

The figure of Pulcinella is also not defined through an action that makes him the protagonist of drama. He is rather defined by simply being there. With an indeterminate gender and claim humanness—Pulcinella is born from an egg and speaks like Donald Duck, of whom he is a descendent—he tries find a way out of each drama and laterally remove himself from the plot. His actual goal is to survive, and he rejects any complexity, because everything appears simple to him. The most important thing is to find something to eat.

Carla Lonzis' Diario di una femminista describes a very similar search for an exit. Encapsulated by the concept of Separatismo, Italian feminists in the mid-1970s decided to abandon the field, whichever field that might have been—art, politics, psychonalysis— and refuse participation in areas that women have been excluded from for centuries and in which they have always had to defend themselves. Agamben describes the moment in the comedy, in which all of the protagonists leave the scene according to the parabasis of Greek comedy. The parabasis is the part of the play, in which the chorus takes off its mask in the absence of the acting characters and addresses the audience directly. It is the same moment in which Pulcinella later delivers a joke about what is happening.

In Then I would like to make a happy end for once, the photographs are now what occurs exterior to the photographer in encountering these thoughts, while the other works were made in the interior space and without reference to time. All media can now either be a disruptive element or a plot line, which, rather than carrying the plot forward, cracks it’s own, medium-specific jokes. Here, the painterly form of cubism marks a confrontation between the emergence of a separate perspective, which developed as a type of secret language between two people against the perspective of renaissance painting. This is a form that paradigmatically represents the incomprehensibility of the avant-garde, used in, for example, Donald Duck magazines. Underlying this new perspective is the wish—the possibility—of moving and exhibiting in the space and making everything—table, guitar, bottle—into a present body (for the most part a feminine one), lending it three-dimensionality and presence. Historically, cubism emerged from an examination of the two-dimensionality of photography and the multi-dimensionality of Charlie Chaplin films. Today it recalls the under-complexity of the “third table” of speculative realism, which itself represents a kind of Pulcinella of philosophy—get the hell out of here!

In Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Freud writes that in order to involve a third person in the development of a joke, it must contain neither adverse nor hostile tendencies. The exhibition is therefore an attempt to present all the images like they were in a world under water—a world like French philosopher Gilles Deleuze describes, in which everything is interwoven. The fish are as much folded into the sea as the sea is folded into the fish.

Upcoming dates

Wed July 11, 6 pm
Guided tour

Wed July 18, 7 pm
Artist talk with Ariane Müller

Sun July 29, 3 pm
Guided tour

 

Die Ausstellung wird gefördert von / The exhibition is funded by:

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